Die Zukunft der Übersetzungsbranche: Künstliche Intelligenz und menschliche Expertise
Seit Open AI Chat GPT am 30.11.2022 (in der Version 3.5) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, hat die Plattform das Bewusstsein der Öffentlichkeit im Sturm genommen. Bereits im Januar 2023 verzeichnete ChatGPT 100 Millionen Benutzer und ist damit die bislang am schnellsten wachsende Benutzeranwendung aller Zeiten! ChatGPT wurde mithin zum Synonym von Künstlicher Intellgenz (KI).
Dabei ist KI nichts Neues. Aber betrachten wir zunächst welche Arten oder Stufen von KI es gibt:
Schwache Künstliche Intelligenz (Narrow AI)
Schwache KI ist die Stufe der Künstlichen Intelligenz, in der Maschinen nur eine eng definierte Anzahl von Aufgaben ausführen können. In diesem Stadium besitzt die Maschine keine Denkfähigkeit, sondern führt nur eine Reihe von vordefinierten Funktionen aus.
Beispiele für schwache KI sind Siri, Alexa, selbstfahrende Autos, Alpha-Go oder eben ChatGPT. Fast alle KI-basierten Systeme, die bis heute entwickelt wurden, fallen in die Kategorie der schwachen KI.
Allgemeine Künstliche Intelligenz (General AI)
Auch bekannt als starke KI, ist GAI die Stufe in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, in der Maschinen die Fähigkeit besitzen werden, zu denken und Entscheidungen zu treffen wie wir Menschen.
Derzeit gibt es noch keine Beispiele für starke KI, aber man geht davon aus, dass wir bald in der Lage sein werden, Maschinen zu entwickeln, die genauso intelligent sind wie Menschen.
Viele Forschende sehen in starker KI eine Bedrohung für die menschliche Existenz, so auch Stephen Hawking, der erklärte:
„Die Entwicklung einer vollständigen künstlichen Intelligenz könnte das Ende der menschlichen Rasse bedeuten…. Sie würde sich selbständig machen und sich in immer schnellerem Tempo neu entwickeln. Der Mensch, der durch die langsame biologische Evolution eingeschränkt ist, könnte da nicht mithalten und würde verdrängt werden.“
Künstliche Superintelligenz (ASI)
Künstliche Superintelligenz ist das Stadium der Künstlichen Intelligenz, in dem die Fähigkeiten von Computern den Menschen übertreffen werden. Eine ASI ist derzeit noch eine rein hypothetische Situation, wie sie in Filmen und Science-Fiction-Büchern dargestellt wird, in der Maschinen die Weltherrschaft übernommen haben.
KI und die Übersetzungsbranche
Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren einen enormen Einfluss auf die Übersetzungsbranche gehabt. Dank der fortschreitenden Technologie ist es möglich, maschinelles Lernen und neuronale Netze zu nutzen, um maschinelle Übersetzung zu ermöglichen. DeepL hat dies erfolgreich umgesetzt.
KI wurde in der Übersetzungsbranche relativ gelassen aufgenommen. Aus gutem Grund. Die seit Jahrzehnten bestehende Koexistenz zwischen MT und Humanübersetzung hat die Branche immer weiter technisiert. MT hat es ermöglicht, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu übersetzen. Dies spricht in erster Linie für die hohe Anpassungsfähigkeit unserer Branche.
Man hätte also eine recht gelassene Reaktion auf ChatGPT & Co erwarten können.
Dennoch scheint aktuell das Gegenteil der Fall zu sein.
ChatGPT – Freund oder Feind?
Um diese Frage beantworten zu können, sollten wir uns zunächst ChatGPT von Nahem betrachten. Auch wenn das Tool in den letzten Woche enorm gehypt wurde, handelt es sich immernoch um ein Tool der ersten Evolutionsstufe, also um einen nicht allzu intelligente KI.
Wofür wurde es entwickelt? Wie der Name schon verrät, wurde es als eine Art Chat Bot entwickelt, der mit grundlegenden Datenbestand an Wissen ausgestatet wurde und der – wie jeder andere KI auch – mit einem Deep Learning Algorithmus ausgestattet wurde. Also im Prinzip ist ChatGPT so eine Art C3PO, der liebenswerte Kommunikationsdroide bei Star Wars, der teilweise in brenzligen Situation munter dahinplaudert ohne einen wirklichen Beitrag zur Rettung dieser brenzligen Situation zu leisten.
Das gleiche macht ChatGPT. Es plaudert, teilweise auf zugegebenermaßen recht hohem Niveau, teilweise aber Dinge die faktisch völlig daneben liegen. Diese Fehlinformationen versieht das System aber nicht mit einer Warnung, sondern kommuniziert sie im Brustton der Überzeugung. Und genau das macht ChatGPT so gefährlich. Es liefert keinen “confidence Score” o.ä. mit, anhand dessen man die inhaltliche Qualität des Outputs messen könnte. Es ist also höchste Vorsicht und eine gute Portion Skepsis im Umgang mit dem Output gefragt.
Aber wieso ist das so? Die Funktionsweise von ChatGPT ist darauf fokussiert Zusammenhänge bzw. Konversationen und deren Inhalt zu erfassen und darauf zu reagieren. Dabei wird nach jedem “produzierten” Wort das statistisch wahrscheinlichste nächste Wort berechnet.
Und so entstehen Texte/Inhalte.
Wenn man sich diese Vorgesenweise vor Augen hält, ist es umso faszinierender, dass überhaupt sachlich richtige Antworten produziert werden. Hier kommen neuronale Netze, Deep Learning Algorithmen und der bereits erwähnte Anfangsbestand an Informationen zum Tragen.
ChatGPT und die Übersetzung
Und nebenbei kann ChatGPT auch übersetzen. (All die anderen Themen wie das Erstellen von Code, Texten oder Gedichten o.ä. Wollen wir hier bewusst außen vor lassen.) Somit stellt sich sofort die Frage: Ist es möglich ChatGPT produktiv für Übersetzungen einzusetzen?
Hier gibt es einige Punkte, die klar dagegen sprechen:
- Zunächst einmal ist ChatGPT nicht mit dem Fokus auf Übersetzung entwickelt worden. Übersetzung ist eher ein Nebenprodukt für einen Konversationsbot.
- Die Version 4 von ChatGPT kann immerhin bis zu 25.000 Wörter auf einmal ausgeben (V3.5 = 3000 Wörter). Dennoch wrd das sicher nicht allen Übersetzungsszenarien gerecht.
- Es gibt keinerlei möglichkeiten die “Engine” zu trainieren, weder in Form von Translation Memories, noch mit Terminologie
- Ähnlich wie bei Google Translate gibt es keinerlei Vertraulichkeit für hochgeladenen Daten
- Es gibt (derzeit) keinerlei Ankopplung an existierende Übersetzungssysteme
- ChatGPT kann derzeit nur Textinformation verarbeiten. Diese muss in ein Eingabefeld eingegeben werden. (Oder per API angeliefert werden.) Es gibt keinerlei Möglichkeit (unterschiedliche) Dateien hochzuladen – und das Format beizubehalten.
Sollte man deshalb das Thema ignorieren? Sicherlich nicht! Aktuell scheinen jede Woche Dutzende neue KI-Tools auf den Markt zu drängen. Viele davon nutzen Open AI, andere setzen auf alternative oder eigene Modelle. Es ist nahezu unmöglich den kompletten Überblick über alle Tools zu behalten, aber es ist nur eine Frage der Zeit bis KI Tools auch für die Übersetzungsbranche entstehen werden.
Wie wird es weitergehen?
Bereits der Versionshub von ChatGPT 3.5 auf 4.0 brachte massive Verbesserung und Veränderung mit sich. Diese alle hier aufzuführen, würde zu weit gehen. Aber man muss kein Prophet sein, um absehen zu können, dass dieses Tempo in der Entwicklung weiterhin steigen wird. Wir können aktuell noch nicht absehen, was V10 alles können wird, aber es ist klar, dass es signifikante Veränderungen in der Art wie wir in den kommenden Jahren arbeiten werden mit sich bringen wird.
Wettbewerb
OpenAi hat starke Rückendeckung und schier atemberaubende finanzielle Mittel im Rücken, um sein Framwork voranzubringen. Treibend Kraft und Hauptgeldgeber ist mittlerweile Microsoft. Elon Musk, einer der Mitgründer, hat sich zurückgezogen, angeblich wegen Interessenkonflikten mit seiner eigenen KI-Entwicklung bei Tesla.
Micrsoft scheint aktuell auch das Unternehmen zu sein, das den größten direkten Nutzen aus den Entwicklungen bei OpenAI ziehen kann. Die Microsoft Suchmaschine Bing hat bereits vor einigen Wochen eine KI-Chatfunktion implementiert und schrittweise werden in alle Microsoft-Produkte KI- und/oder Chatfunktionen implementiert werden.
Wo bleibt Google?
Google scheint aktuell noch etwas in der Vermarktung seine KI-Fähigkeiten hinterher zu hinken. Aber auch Google hat angekündigt schrittweise KI- und/oder Chatfunktionen in seinen Produkten wie Mail, Docs oder Sheets zu implementieren.
Die Vermutung liegt nahe, dass man noch an einem akzeptablen Monetarisierungsmodell arbeitet. Denn eines ist klar: KI ist ressourcenintensiv und somit teuer.
Auch Unternehmen wie DeepMind oder Hugging Face arbeiten unter Hochdruck an ihren Modellen. Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass es unzählige Anwendungsfälle gibt, bei denen KI von großen Nutzen sein kann und auch monetarisierbar ist. Vom Screening von tausenden Bewerbern bevor ein HR-Mitarbeiter sich der ausgewählten Bewerbungen widmet über juristische Theme bis hin zur Erkennung von Krebszellen in Aufnahmen, lange bevor das menschliche Auge sie erfassen kann.
Bedeutet KI das Ende unserer Branche?
In Anbetracht der aberwitzigen Geschwindigkeit, mit der KI aktuell weiterentwickelt wird, fällt es schwer, langfristige Prognosen zu erstellen. Dennoch klar, dass es sich hierbei um kein vergängliches Phänomen handelt, über das wir uns in ein paar Jahren am Stammtisch rückblickend schmunzelnd unterhalten werden. Vielmehr handelt es sich um einen beginnenden Paradigmenwechsel, der höchstwahrscheinlich auf nie dagewesene Weise die Art, wie wir leben und arbeiten, beeinflussen wird.
Dies muss nicht zwingend zu unserem Nachteil sein. Es wird in hohem Maße davon abhängen, wozu KI eingesetzt werden wird.
Vielleicht entstehen ja völlig neue KI-basierte Tools, die helfen werden, den Übersetzungprozess zu automatisieren oder Qualitätssicherung auf schnellere und effizientere Weise zu erledigen.
Von daher ist aus unserer Sicht nicht davon auszugehen, dass Künstliche Intelligenz Übersetzer und Übersetzungsunternehmen überflüssig machen wird. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der offene Umgang mit dieser Technologie die Überlebenschance aller Marktteilnehmer erhöhen wird und womöglich völlig neue Geschäftszweige erschließen wird.
Hier eine umfassende Liste von KI Tools:
Bildnachweis: Die Grafiken wurden von einer künstlichen Intelligenz (Midjourney) erstellt.